Andenken an eine besondere Frau
AWO enthüllt am DAH Gedenktafel für ihre Gründerin Marie Juchacz
Bremerhaven. Der Marie-Juchacz-Platz vor dem Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven ist jetzt auch optisch sichtbar: Bereits 2019 hatte die Stadtverordnetenversammlung die Namensgebung beschlossen, am Freitag (10. Juni 2022) hat der AWO Kreisverband Bremerhaven e.V. im Rahmen einer Feierstunde die von ihm gestiftete Gedenktafel zur Erinnerung an die AWO-Gründerin, Politikerin und Frauenrechtlerin enthüllt. „Wir freuen uns sehr, dass wir das Andenken wachhalten können an eine ganz besondere Frau, deren Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung bisher ihrer Bedeutung und ihren Leistungen leider nicht gerecht wird“, sagte AWO-Kreisvorsitzender Dr. Uwe Lissau vor geladenen Gästen.
Lissau beschrieb in seiner Begrüßungsansprache das Erbe von Marie Juchacz (1879 – 1956) in der AWO: „Die Strukturen sind professioneller, die Aufgaben und Tätigkeitsfelder noch vielfältiger geworden. Bundesweit arbeiten 240.000 Menschen in 18.000 Einrichtungen und Diensten der AWO – unterstützt von mehr als 70.000 ehrenamtlichen Helfer*innen. In Bremerhaven und umzu sind 1.300 Mitarbeitende in unseren 67 Einrichtungen tätig in der Kinderbetreuung, der Jugendhilfe, der Hilfe für Familien, in der Altenpflege, Sozialpsychiatrie, Suchthilfe, Arbeit und Bildung sowie in der Migrationsberatung. Und all dies fußt auf dem Wertefundament, das Marie Juchacz vor mehr als 100 Jahren gelegt hat und das bis zum heutigen Tag unser Wirken bestimmt: Der Einsatz für die Demokratie und unsere Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Toleranz und Solidarität.“
Pandemiebedingt konnte die für 2020 geplante Platzbenennung erst jetzt stattfinden. „Die Welt ist nicht mehr dieselbe: Ein Virus bestimmt seit mehr als zwei Jahren unser Denken und Handeln und hat unser Zusammenleben verändert. Und was uns 2019 noch unvorstellbar schien, ist 2022 erschreckende Realität geworden: In Europa tobt ein Krieg. Russland hat gegen das Völkerrecht die Ukraine überfallen, wir beklagen unzählige Opfer, müssen uns mit einer beispiellosen Flüchtlingswelle auseinandersetzen und die wirtschaftlichen Folgen sind auch in Deutschland spürbar und werden es wohl auf Jahre hinaus bleiben“, sagte Lissau.
Der Dank des AWO-Vorsitzenden galt den Bremerhavener Stadtverordneten für den Beschluss zur Benennung des Marie-Juchacz-Platzes, der BEAN für die Unterstützung bei Erstellung, Standortsuche und Aufstellung der Gedenktafel, sowie dem Deutschen Auswandererhaus für die vor zwei Jahren gezeigte Sonderausstellung „Und mitten in dem Ganzen stehen die Frauen der Welt“ über die Exilzeit in den USA und die Rückkehr von Marie Juchacz nach Deutschland mit Ankunft in Bremerhaven.
An die sehr gut besuchte Ausstellung und an Leben und Werk von Marie Juchacz erinnerte die Direktorin des Deutschen Auswandererhauses Dr. Simone Blaschka: „Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, Frauenrechtlerin, Sozialdemokratin – die 1879 geborene Marie Juchacz hat Bemerkenswertes in ihrem Leben geschafft: Als erste Frau steht sie im Jahr 1919 während der Weimarer Republik in der deutschen Nationalversammlung am Rednerpult und gründet im selben Jahr die Arbeiterwohlfahrt.“ Ihre bewegende Biografie, ihr Lebenswerk und ihre Erfolge sowie ihre Flucht vor den Nazis nach dem Verbot der AWO und ihre Rückkehr nach Deutschland zeigen – so Dr. Blaschka – das Bild einer beeindruckenden Persönlichkeit.
Dass Marie Juchacz‘ Lebensleistung bis heute nachwirkt, betonte auch Festrednerin Dr. Claudia Bogedan. Die Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung und frühere Bremer Bildungssenatorin würdigte das Engagement von Marie Juchacz für die Frauenrechte und damit die Stärkung der Demokratie in Deutschland. Sie verwies auf aktuelle Forschungsergebnisse der Stiftung, die zeigen, dass auch heute die ungleiche Verteilung von Sorgepflichten, die Pandemie und der Ukraine-Krieg den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Glauben an die Demokratie gefährden: „Marie Juchacz mahnt uns alle, uns immer wieder für Demokratie und Chancengerechtigkeit einzusetzen.“
Ein besonderer Willkommensgruß galt Lydia Struck, der Urgroßnichte von Marie Juchacz, die eigens aus Hamburg angereist war. Musikalisch gestaltet hat die Feierstunde Svenja Heuwinkel: Die Bremerhavener Sopranistin trug zwei Lieder aus dem Marie Juchacz gewidmeten Musical „Meine Herren und Damen: Marie“ vor. Und eine von Alexandra Lüdtke geleitete Gruppe des Kreisjugendwerks der AWO Bremerhaven zeigte eine eigens für diesen Anlass konzipierte Tanzperformance zum Thema Marie Juchacz.
Stifter: AWO Kreisverband Bremerhaven e.V.
Inschrift: Die Inschrift ist in deutscher und englischer Sprache verfasst und für Blinde und Sehbehinderte in beiden Sprachen in Braille-Schrift aufgebracht.
MARIE JUCHACZ
15.03.1879 – 28.01.1956
Frauenrechtlerin, Sozialreformerin und Reichstagsabgeordnete für die SPD. 1919 sprach sie als erste Frau in einem deutschen Parlament und gründete die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Marie Juchacz emigrierte 1933 über das Saargebiet und Frankreich in die USA, nachdem die Nationalsozialisten die Selbstauflösung der AWO erzwungen hatten. In den Vereinigten Staaten baute sie 1945 ebenfalls eine Arbeiterwohlfahrt auf. 1949 kehrte Marie Juchacz über Bremerhaven nach Deutschland zurück.
MARIE JUCHACZ
March 15, 1879 – January 28, 1956
Women’s rights advocate, social reformer, delegate of the Reichstag on behalf of the Social Democratic Party (SPD). In 1919, she was the first woman to speak in front of the German Parliament and founder of the Workers’ Welfare Group (AWO). Marie Juchacz emigrated to the USA in 1933 by way of the Saar area and France, after the Nazis forced the dissolution of the AWO. In 1945, she also founded a Workers’ Welfare Group in the United States. Marie Juchacz returned to Germany by way of Bremerhaven in 1949.
Motiv: Die Tafel ziert ein Marie-Juchacz-Porträt des deutschen Grafikers, Zeichners, Schriftgestalters und Hochschullehrers Karl-Hans Walter (1911 – 1999), das auf einem Briefmarkenmotiv basiert. Dieses datiert die Friedrich-Ebert-Stiftung auf 1948; Marie Juchacz ist auf der Abbildung ca. 69 Jahre alt.
Maße: Die Tafel ist 1,60 m breit, an der höchsten Stelle 1,30 m hoch, 0,75 m tief und frontal mit einem Rollstuhl unterfahrbar.
Grafik und Design: Studio Andreas Heller GmbH Architects & Designers Hamburg
Braille-Übersetzung: Deutsches Zentrum für barrierefreies Lesen, Leipzig
Rahmen und Grafiktafel: Fa. BODO on stage, Hamburg
Digital-Plattendruck: CCL Printing Solutions GmbH, Hamburg
Stahlbetonfundamente: Fa. J.W. Adolf Gerdts, Bremerhaven