AWO wählt Demokratie
Mach dein Kreuz! Aber ohne Haken!
Die vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar 2025 sind eine Chance und Risiko zugleich: Eine neue Regierung könnte sich von den Sparfantasien aus Teilen der Ampel lösen und endlich die überfälligen Investitionen in Gesellschaft und den Sozialstaat nachholen, die es an vielen Stellen so dringend braucht. Klar ist aber auch: antidemokratische Kräfte und solche, die den Sozialstaat abbauen wollen, sind auf dem Vormarsch. Ungleichheit und Demokratieverdruss hängen eng zusammen. Deshalb müssen wir darüber sprechen, dass es eine gerechte Verteilung braucht, um die Demokratie zu stärken.
Klare Kante und klare Botschaft
Mit dem Slogan „Mach Dein Kreuz! Aber ohne Haken!” ruft die AWO Bremerhaven alle Wahlberechtigten in Bremerhaven und umzu auf, bei der Bundestagswahl am 23. Februar ihre Stimme den Parteien zu geben, die in unseren krisenbehafteten Zeiten für einen starken Sozialstaat, eine lebendige Zivilgesellschaft und eine robuste Demokratie einstehen. Jede Stimme ist wichtig, um die Demokratie zu stärken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu festigen. Deshalb: Seid dabei, motiviert andere, ihre Stimme bei der Wahl abzugeben, sich einzubringen und mit ihrer Wahl aktiv etwas zu bewegen.
Unsere 15 Kernforderungen an das Regierungsprogramm
1. Gute Lebensgrundlagen für alle – für sozialen Klimaschutz und Investitionen in die Transformation
Klimaschutz kann und muss als generationenübergreifende Menschheitsaufgabe begriffen werden. Damit das gelingt, braucht es massive öffentliche Investitionen, insbesondere für die Transformation in den Bereichen Gebäude und Verkehr. Den Ungerechtigkeiten der Klimakrise muss mit sozialen Maßnahmen zum Schutz der besonders vulnerablen Gruppen begegnet werden.
Es braucht einerseits regulative Maßnahmen, die das Verursacherprinzip bei der Erreichung der Klimaziele berücksichtigen und fossile Subventionen beenden. Andererseits braucht es ein sozial gestaffeltes Klimageld, da Klimaschutz nur durch gerechte Verteilung wirksam wird und Akzeptanz finden kann.
2. Teilhabe in allen Lebensbereichen – für eine barrierefreie Gesellschaft im analogen und digitalen Raum
Viele Menschen sind durch mangelnde Barrierefreiheit stark in ihrer selbstbestimmten Lebensgestaltung und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt. Wir sind deshalb dafür, den individuellen Diskriminierungs- und Gewaltschutz zu verbessern und Deutschland barrierefreier zu machen – in der analogen genau wie in der digitalen Welt.
Dafür braucht es ein Disability Mainstreaming aller Gesetzesvorhaben und Reformen, aber auch der Bundesprogramme, damit gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen zur Förderung von Barrierefreiheit und Inklusion geschaffen werden. Und es braucht eine partizipative Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Schaffung eines offenen, inklusiven und zugänglichen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes. Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG), das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz müssen wirksame Sanktionsmechanismen und einklagbare Rechte verbindlich regeln. Dabei müssen auch Personen ohne anerkannte Behinderung in den Blick genommen werden, die aufgrund ihrer Lebenssituation keine echte Teilhabe erfahren, wie z.B. ältere Menschen oder Armutsbetroffene.
Die digitale Transformation muss ebenfalls sozial und teilhabeorientiert gestaltet werden. In einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft darf es keine Ausgrenzung geben. Niemand darf ausgegrenzt werden, nur weil er oder sie nicht über die notwendige Ausstattung oder digitalen Kompetenzen verfügt bzw. System nicht ausreichend barrierefrei gestaltetet ist.
3. Demokratiefördergesetz – für eine resiliente und engagierte Zivilgesellschaft
Zivilgesellschaftlich Engagierte und demokratische Mitgliederorganisationen sind das Rückgrat der Demokratie. Sie zu stärken und entschlossen gegen Bedrohungen der Demokratie vorzugehen, ist eine wichtige Aufgabe aller politisch Verantwortlichen. Zur langfristigen Stabilisierung muss in der nächsten Legislaturperiode das Demokratiefördergesetz endlich verabschiedet werden.
Auch müssen die Förderprogramme zur Demokratiestärkung und zur Prävention von Demokratiefeindlichkeit sowie zur Bekämpfung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (Demokratie Leben, Zusammenhalt durch Teilhabe, JMD Respekt Coaches) verlässlich und dauerhaft finanziell abgesichert werden.
4. Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst – für Chancen auf Engagement für alle Menschen
Wir sind dafür, dass jeder Mensch einen Freiwilligendienste machen kann. Mit einem durchsetzbaren Recht auf einen Freiwilligendienst geht die Verpflichtung der Gesellschaft einher, diesen Dienst für die Gemeinschaft allen zu ermöglichen. Wenn jeder Freiwilligenplatz vom Bund gefördert wird und jede*r Freiwillige ein auskömmliches Freiwilligengeld erhält, fallen sowohl komplizierte Kontingentierungen und formale Hindernisse als auch Barrieren aufgrund des sozialen Hintergrunds der Freiwilligen weg. Eine umfassende Information und Beratung aller Schulabgänger*innen erhöhen den Bekanntheitsgrad und die gesellschaftliche Wertschätzung. Dadurch wird eine Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit etabliert, in der es zum Aufwachsen dazugehört, einen Freiwilligendienst zu absolvieren. In wenigen Jahren können so die Freiwilligenzahlen mindestens verdoppelt werden.
Kurz- und mittelfristig müssen die Bundesmittel für die Freiwilligendienste gesichert und ausgebaut werden, es braucht eine Lösung für die Problematik der Überjährigkeit, die die Träger jedes Jahr aufs Neue im Ungewissen über die künftige Finanzierung lässt.
Auch der Bundesarbeitskreises FSJ hat ein Positionspapier zur Bundestagswahl 2025 veröffentlicht. Kernforderung ist, wie im Rahmen der Vision 2030 vorgestellt, die Einführung eines Rechts auf Engagement – ein Recht auf einen Freiwilligendienst.
5. Bürgerversicherung – für mehr Solidarität in der Sozialversicherung
Wir sind für eine Ausweitung des Versichertenkreises der gesetzlichen Sozial- und Krankenversicherung auf alle Berufsgruppen und alle Einkommensarten. Dabei müssen die Beitragsbemessung und die Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung angepasst werden.
6. Gute Pflege für alle – für eine stabile Pflegeversicherung und mehr Unterstützung für pflegende Angehörige
Wir sind dafür, dass die pflegebedingten Kosten wieder vollständig von der Pflegekasse übernommen werden. Dafür braucht es neben einer Ausweitung des Versichertenkreises kurzfristig steuerliche Zuschüsse, um Pflegebedürftige solidarisch zu entlasten. Auch pflegende Angehörige müssen gestärkt und entlastet werden. Das ist zu schaffen durch eine Ausweitung der Familienpflegezeit und ein Familienpflegegeld analog zum Elterngeld, durch bürokratieärmere Antragsverfahren, durch Pflegeberatung als Leistung der Pflegeversicherung in Form von Beratungsgutscheinen, sowie die Förderung des Ausbaus von Tagespflegen, Kurzzeitpflegen und Nachbarschaftshilfen sowie durch einen besseren Zugang zu digitalen Pflegeanwendungen.
7. Schutz für Geflüchtete – für ein gerechtes Asyl- und Aufnahmesystem in Deutschland und Europa und Regelleistungen für Geflüchtete
Wir sind für den Schutz von Geflüchteten in Deutschland und Europa. Wir setzen uns ein für eine international gerechte Verantwortungsteilung, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Wir wollen Zugänge zu fairen Asylverfahren in Deutschland und Europa, aber auch den Ausbau von humanitären Aufnahme- und Resettlementverfahren. Zudem braucht es staatliche Seenotrettung, welche durch zivile Seenotrettung unterstützt werden kann. Mit dem New Pakt bekommt die Europäische Union ein neues gemeinsames Asylsystem. Gemäß ihren Werten, Solidarität und Zusammenhalt wollen wir die Entwicklung eines funktionierenden und gerechten Asylsystems welches die Genfer Flüchtlingskonvention, das primäre EU-Recht einschließlich der EU-Charta der Grundrechte uneingeschränkt beachtet. Hierzu muss Deutschland seinen Verpflichtungen rechtzeitig nachkommen und seinen Solidaritätsbeitrag möglichst in Form der Aufnahme von Schutzsuchenden leisten. Deutschland soll keine Abkommen mit Staaten schließen, die Menschenrechte missachten und den Schutz von Geflüchteten nicht gewährleisten – das Gebot der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement) ist jederzeit einzuhalten.
Wir sind dafür, das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zugunsten einer Erweiterung des SGB II und XII auf alle Menschen in unserem Land abzuschaffen. Das heutige AsylbLG verwehrt Geflüchteten das gesetzlich definierte Existenzminimum. Leistungen des AsylbLG fallen deutlich geringer aus als die Sozialleistungen nach SGB II oder XII. Durch die abgesenkten Sozialleistungen des AsylbLG kann die Teilhabe am Erwerbsleben schwerer erreicht werden. Zudem werden hohe Kosten für eine Doppelstruktur in Kauf genommen, aus Sorge um einen unbewiesenen „Pullfaktor“. Nur mit einem gleichlaufenden Sozialsystem können wir Schutzsuchende angemessen dabei unterstützen, ihr Leben unabhängig zu führen und die Verwaltung entlasten.
Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Antifeminismus, der Infragestellung von Gleichstellung und erreichter Geschlechtergerechtigkeit, muss die politische Arbeit zu Frauen- und Gleichstellungthemen engagiert fortgesetzt und strukturell abgesichert werden. Es gilt einem weiteren Backlash entgegenzuwirken.
8. Selbstbestimmte Schwangerschaften – für reproduktive Selbstbestimmung
Wir stehen für und stärken die körperliche und reproduktive Selbstbestimmung. Nach der Abschaffung des sog. „Werbeverbot“ für Schwangerschaftsabbrüche, muss nun auch der §218 des Strafgesetzbuchs gestrichen werden – denn dieser Paragraf definiert das selbstbestimmte Beenden einer Schwangerschaft als Straftat. Das verstößt gegen menschenrechtliche Verpflichtungen. In einer offenen, gleichberechtigten und gerechten Gesellschaft können Schwangere ihr Recht auf die selbstbestimmte Entscheidung eine Schwangerschaft fortzuführen oder zu beenden frei leben. Individuelle Lebensentwürfe selbstverständlich wählen und sichern zu können, kostenfreien und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und Verhütungsmitteln zu haben, bedeutet echte demokratische Teilhabe. Der Sozialstaat übernimmt die Verantwortung für bestehende soziale Ungleichheiten, die mit einer Schwangerschaft entstehen und begegnet diesen angemessen über sozial- und familienpolitische Maßnahmen. Die Beratungsstelleninfrastruktur und der Zugang zu Information rund um Schwangerschaft, Verhütung und Sexualität(en) muss abgesichert sein und bedarfsgerecht ausgebaut werden.
9. Bedarfsgerechtes Hilfesystem bei geschlechtsspezifischer Gewalt – für Unterstützung von Gewaltbetroffenen
Wir fordern den flächendeckenden Ausbau von Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen bei häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt, damit jede gewaltbetroffene Person und deren Kinder umgehend Zugang zu Schutz und Beratung findet. Hierzu müssen Investitions- und Förderprogramme für den Aus- und Aufbau eines bedarfsgerechten, wohnortnahen und barrierefreien Hilfesystems für von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffene Frauen und Kinder aufgelegt werden. Fachstellen für Täter*innen müssen flächendeckend als Regelangebot aufgebaut und finanziert werden. Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt müssen in allen Bundesländern verankert und gestärkt werden.
Die Istanbul-Konvention muss vollumfänglich umgesetzt werden. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen muss im Curriculum des Studiengangs Soziale Arbeit verankert werden.
10. Wirksame Armutsbekämpfung – für existenzsichernde Sozialleistungen und bezahlbaren Wohnraum
Wir sind für eine Gesellschaft ohne Armut. Dafür braucht es zunächst eine grundsätzliche Neuermittlung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums. Dazu gehört der Ausschluss verdeckt Armer aus der Referenzgruppe sowie einen Verzicht auf alle nicht begründbaren Streichungen. Es muss anhand von Indikatoren nachgewiesen werden, dass das verfügbare Einkommen in der Referenzgruppe für ein Leben in Würde ausreicht. Das Existenzminimum soll für alle Leistungsbeziehenden im SGB II und SGB XII sowie Menschen, die derzeit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, gleichermaßen gelten.
Neben höheren Regelbedarfen sind kostenlose Kita- und Schulverpflegungen als zentraler Hebel gegen Ernährungsarmut zu betrachten. Die AWO setzt sich daher für eine kostenlose Kita- und Schulverpflegung für alle Kinder und Jugendlichen ein.
Darüber hinaus fordern wir eine Überarbeitung der Einkommensanrechnung im Bürgergeld, die es Bürgergeldempfänger*innen ermöglicht, mehr von dem zu behalten, was sie durch Lohnarbeit verdienen. Sanktionen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind mit dem Menschenbild der AWO unvereinbar und müssen abgeschafft werden.
Die Bedarfe von Alleinerziehenden sind besonders zu berücksichtigen, da sie sehr häufig und strukturell von Armut betroffen sind. Zudem wächst die Zahl der Ein–Eltern-Familien von Jahr zu Jahr, immer mehr Kinder werden in Zukunft von Armut betroffen sein. Darüber hinaus braucht es die Einführung eines Umgangsmehrbedarfs für Trennungskinder im Sozialrecht sowie einer Steuergutschrift.
Wir kämpfen gegen Altersarmut und für ein stabilesRentenniveau. Gleichzeitig müssen die Beiträge für Beschäftigte leistbar bleiben und die Folgen des demographischen Wandels dürfen nicht auf dem Rücken der jüngeren Generationen lasten. Wir fordern daher eineEinbeziehung von weiteren Personengruppen, wie Beamt*innen und Selbständigen in die gesetzliche Altersvorsorge nach dem Vorbild einer Erwerbstätigenversicherung.
Wohnen ist eine große soziale Frage – und leider ein echtes Armutsrisiko. Deswegen wollen wir eine Wende in der Miet- und Wohnungspolitik. Wir brauchen eine zuverlässige Förderung für sozialen, kommunalen und gemeinnützigen Wohnungsbau, um den gemeinwohlorientiertenWohnungssektor in Deutschland wieder zu stärken. Die Mietpreisbremse muss verschärft werden; außerdem braucht es einen Mietenstopp in besonders angespannten Wohnungsmärkten. Wir fordern eine Ausweitung derSchonfristregelungen auf ordentliche Kündigungen: wer seine Mietrückstände bezahlt, muss weiterhin in seiner Wohnung bleiben können.
Um Wohnungslosigkeit wirksam zu bekämpfen, muss verhindert werden, dass noch mehr Menschen ihre Wohnung verlieren – durch einen Ausbau von Fachstellen und eine Stärkung der Präventionsarbeit. Darüber hinaus setzen wir uns für eine Etablierung von menschenwürdigen Mindeststandards in Notunterkünften und für ein differenziertes Hilfesystem ein, um die verschiedenen Bedarfsgruppen gut zu erreichen.
Armut ist auch eine gesamteuropäische Herausforderung. Viele Millionen Menschen in der EU sind davon betroffen. Ein zentraler Baustein in der Armutsbekämpfung in der EU sind die nationalen Systeme der Mindestsicherung der Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung muss sich daher auf EU-Ebene für eine verbindliche Rahmenrichtlinie für Mindestsicherungssysteme einsetzen.
11. Kindern und Jugendlichen eine gute Zukunft bieten – für ein Land ohne Kinderarmut, aber mit bester Bildung und Kinderrechten im Grundgesetz
Wir setzen uns dafür ein, allen Kindern die Chance zu geben eine solidarische Gesellschaft zu erleben. Die Kindergrundsicherung, wie sie von der derzeitigen Regierungskoalition vereinbart wurde, ist gescheitert – es braucht hier neue und umsetzbare Ansätze, die endlich spürbare Verbesserungen für alle Kinder bringen.
Darüber hinaus braucht es eine realitätsgerechte Neuermittlung der Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche. Für Kinder und Jugendliche, die im Verlauf ihres Aufwachsens ein belastetes Verhältnis zu ihren Eltern hatten oder aktuell haben, müssen monetäre Leistungen elternunabhängig gewährt werden.
Alle Angebote der Kinder- und Jugendhilfe müssen gestärkt, Kommunen, Länder und freie Träger müssen bei der Umsetzung der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe unterstützt werden.
Bildung muss wieder zur Priorität der Bundesregierung werden. Das derzeitige Bildungssystem verschärft Ungleichheiten und soziale Segregation. Bereits die Teilhabe an frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten ist sozial ungleich verteilt. Wir fordern einen bedarfsgerechten Ausbau, sodass alle Kinder bereits früh qualitativ hochwertige Bildungsangebote in ausreichender Zahl vorfinden. Hierfür sind Investitionen in ein barrierefreies und gerechtes Bildungssystem notwendig, Hürden für die Inanspruchnahme müssen abgebaut werden. Wir fordern die Festlegung verbindlicher Qualitätsstandards in der Kindertagesbetreuung und von Qualitätskonzepten im Bereich der ganztägigen Bildung und Betreuung von Grundschulkindern.
Wir fordern die Anhebung des BAföG auf ein bedarfsdeckendes Niveau. Vor dem Hintergrund steigender Wohnkosten bedarf es auch einer Anpassung der regional bisher nicht differenzierten Wohnkostenpauschale.
Die Verankerung der Kinderrechte auf Schutz, Förderung und Teilhabe im Grundgesetz gewährleistet, dass das Wohl und die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bei allen politischen Entscheidungen im Blick bleiben. Nur indem Kinder und Jugendliche beteiligt werden, können gesellschaftliche Wandlungsprozesse generationengerecht gestaltet werden.
12. Gute Arbeitsmarktpolitik & Fachkräfte für die soziale Arbeit – für bessere Arbeitsbedingungen, solidarische Arbeitsmarktintegration und eine offene Einwanderungsgesellschaft
Als Erbringer sozialer Dienstleistungen sind wir für eine verlässliche und adäquate Regelfinanzierung für die Arbeitsmarktintegration. Fördermaßnahmen, Angebote und Trägerstrukturen müssen dauerhaft aufrechterhalten und weiterentwickelt werden. Fördermaßnahmen wie die mit dem Teilhabechancengesetz eingeführten §16i und §16e SGB II haben sich als effektive Instrumente erwiesen, um langzeitarbeitslose Leistungsberechtigte bei ihrem Zugang zum Arbeitsmarkt zu unterstützen und soziale Teilhabe zu fördern, können ihre Wirkung jedoch nur entfalten, wenn die dafür notwendigen finanziellen Mittel langfristig zur Verfügung gestellt werden. Die Praxis, dass die Jobcenter zum Teil Mittel aus dem Eingliederungstitel abziehen, um die eigene Verwaltung zu finanzieren, muss beendet werden. Wir fordern daher die Einführung eines eigenen Haushaltstitels für § 16i SGB II im Einzelplan des Bundessozialministeriums. Dieser muss einseitig deckungsfähig mit dem Eingliederungstitel sein, um gegebenenfalls Mittel für zusätzliche Förderungen bereitstellen zu können. Die Mittelausstattung muss adäquat für die Größe der Zielgruppe erfolgen.
Wir fordern das bereits im letzten Koalitionsvertrag festgehaltene Bundestariftreuegesetz auf den Weg zu bringen, um Qualität und Fairness bei öffentlichen Vergaben zu gewährleisten. Aufgrund der starken Preisfixierung bei der derzeitigen Vergabe haben Träger sozialer Dienstleistungen mit Tarifbindungen häufig das Nachsehen gegenüber Niedriglohnanbietern, die oft mit einer geringen Umsetzungsqualität arbeiten und zumeist nicht beabsichtigen dauerhafte Strukturen aufzubauen. Ein Bundestariftreuegesetz kann zusätzlich dazu beitragen, den Preisdruck auf Kosten der Beschäftigten zu beenden und auskömmliche sowie stabile Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Dadurch lassen sich Arbeits- und Fachkräfte gewinnen und langfristig halten.
Ein plurales Gemeinwesen braucht funktionierende und angemessen ausgestattete Institutionen, die für alle erreichbar sind. Um die Lage zu verbessern, brauchen wir Behörden, die der gesellschaftlichen Vielfalt Rechnung tragen, eine – gerade im Migrationsbereich – verständlichere Gesetzgebung sowie einfachere und zügigere Verwaltungsprozesse. In den Behörden brauchen wir eine Kultur, in der Diskriminierungen erkannt und unterbunden werden. Ein Abbau von Hürden in der Verwaltung und in Institutionen und ein diskriminierungssensibler Umgang trägt zusätzlich zu einer stärkeren Fachkräftegewinnung bei.
Der Arbeitskräftemangel, sowohl bei den Fach- als auch bei den ungelernten Kräften, ist eine zunehmende gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Die Anwerbung sowie eine Aus- und Weiterbildung von Erwerbspersonen aus EU- und Drittstaaten birgt Potenzial, dem steigenden Mangel entgegenzuwirken. Insbesondere für die Anwerbung und Beschäftigung von Arbeits- und Fachkräften aus Drittstaaten braucht es EU-weite Mindeststandards. Angeworbene Personen müssen zu gleichen Bedingungen arbeiten und bezahlt werden, wie die anderen Beschäftigten mit vergleichbaren Tätigkeiten.
13. Soziale Wende in der Finanzpolitik – für mehr Steuergerechtigkeit
Wir sind dafür, hohe Einkommen und Vermögen stärker zu besteuern. Sehr hohe Vermögen sind auf einige wenige Personen konzentriert. Menschen mit hohen Vermögen haben in der Regel auch ein überdurchschnittlich hohes Einkommen. Die Konzentration von Geld und Besitz wird durch das Erbschaftssteuerrecht begünstigt. Das konterkariert nicht nur das Versprechen des sozialen Aufstiegs der sozialen Marktwirtschaft, sondern stellt auch den Sozialstaat zunehmend vor Probleme bei der Finanzierung seiner Aufgaben im Bereich der sozialen Sicherung und Daseinsfürsorge. Für mehr Verteilungsgerechtigkeit und eine verlässliche Finanzierung der Sozialstaatsausgaben, von denen alle Bürger*innen profitieren, fordern wir daher:
- Eine stärkere und effektive Besteuerung von sehr hohen Einkommen. Ein erster Schritt ist die Anhebung des Reichensteuersatzes um mindestens einen Prozentpunkt.
- Eine Absenkung des Freibetrages für Betreuung, Erziehung und Ausbildung, die mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist und zu einem einheitlichen Existenzminimum im Steuer- und Sozialrecht für alle Kinder und Jugendlichen führt.
- Eine Reform des Ehegattensplittings. Langfristiges Ziel sollte die Umstellung auf eine Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag sein. Um soziale Härten zu vermeiden und Lebensleistung durch langjährige Care-Tätigkeiten anzuerkennen, darf die Reform nicht ohne Bestandschutz bzw. großzügige Übergangsregelungen für bereits bestehende Ehen auskommen.
- Die seit Ende der 1990er Jahre ausgesetzte Vermögensteuer muss in Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben endlich wieder erhoben werden. Die Einnahmen durch die Vermögensteuer müssen dabei gerecht auf alle föderalen Ebenen verteilt werden. Eine Alternative zu einer Vermögensteuer ist eine einmalige Vermögensabgabe für besonders hohe Vermögen, die über mehrere Jahrzehnte eingezogen wird und die öffentlichen Haushalte dadurch langfristig stabilisiert.
- Eine weitreichende Reform der Erbschaftsteuer, die insbesondere große Betriebsvermögen angemessen besteuert und leistungsloses Vermögen an der Finanzierung der Transformation beteiligt. Ein Lebensfreibetrag sollte die sich alle 10 Jahre erneuernden persönlichen Freibeträge für Ehepartner*innen und Kinder ersetzen.
Neben einer Stärkung der Einnahmenseite zur Finanzierung von Sozialleistungen und sozialen Diensten und Einrichtungen muss auch die Schuldenbremse abgeschafft werden. Angesichts der Krisen unserer Zeit und der hohen Investitionsbedarfe für die sozial-ökologische Transformation können wir uns keine blinde Sparpolitik mehr leisten.
14. Nachhaltige Infrastrukturen für den Sozialstaat – für bessere Rahmenbedingungen und mehr finanzielle Sicherheit für Dienste und Einrichtungen der Sozialen Arbeit
Die Soziale Arbeit ist nicht bedarfsgerecht finanziert. Wir sind für eine bedarfsgerechte, regelhafte und nachhaltige Finanzierung sämtlicher sozialer Dienste und Einrichtungen – von der Kita bis zur Pflege. Ein wesentlicher Stützpfeiler unseres Sozialstaates sind hochwertige soziale Dienstleistungen und Beratungsangebote, die dazu beitragen, soziale Notlagen abzuwenden, Chancengerechtigkeit und Teilhabe aller in Deutschland lebenden Menschen zu fördern. Dabei müssen die sozialen Dienstleistungen stets den individuellen Lebenslagen angepasst werden.
Eine zentrale Herausforderung für nachhaltige Infrastrukturen der Sozialen Arbeit ist es, sich an die Bedarfe an die zunehmend diversen Gesellschaft anzupassen und Chancengerechtigkeit sowie Teilhabe zu ermöglichen. Um diese Aufgaben zu bewältigen, sind etablierte Infrastrukturen in der Sozialen Arbeit sowie finanzielle Sicherheit unerlässlich. Wir fordern daher einen Rechtsanspruch für die Beratung durch Programme wie die Migrationsberatung für Erwachsene Zugewanderte (MBE) oder die Jugendmigrationsdienste (JMD), die bislang nur jährlich durch Projektmittel gefördert werden. Für etablierte Strukturen müssen Mittel mehrjährig bereitgestellt werden, um die Erfüllung der eigentlichen Aufgaben, wie Fachkräftegewinnung durch Qualifizierung, Integration in den Arbeitsmarkt und gesellschaftliche Teilhabe zu beschleunigen. Zudem sollten die Eigenanteile, die gemeinnützige Träger nur in sehr begrenztem Umfang leisten können, reduziert und stattdessen bedarfsdeckende Zuwendungen vergeben werden.
Darüber hinaus muss die Gemeinnützigkeit stärker in den Fokus der politischen Auseinandersetzung kommen. Wir brauchen einen Vorrang für Gemeinnützigkeit. Bei neuen Förderprogrammen des Bundes muss gemeinnützigen Strukturen klare Vorfahrt vor privaten Akteur*innen gegeben werden – denn im Sozialen haben Profite nichts zu suchen!
15. Klimaneutrale Sozialwirtschaft – für effektive Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimafolgenanpassung im sozialen Sektor
Wir sind für die Verankerung von Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Sinne der globalen Nachhaltigkeitsziele in den Sozialgesetzbüchern – als gleichrangige Ziele neben Aspekten wie der Wirtschaftlichkeit. Leistungs-, Versorgungs- und Rahmenverträge zwischen den Leistungserbringern und Leistungsträgern müssen die nachhaltige Gestaltung der Dienstleistungen einfordern und gewährleisten.
Darüber hinaus braucht es ein eigenständiges Förderprogramm “Klimaschutz und -anpassung in der Freien Wohlfahrtspflege“, das an die Bedarfe sozialer Träger angepasst und mit geeigneten Förderquoten und Fördersummen ausgestattet sein muss, insbesondere für die energetische Sanierung, aber auch für Klimaanpassungsmaßnahmen in den über 100.000 Gebäuden im Bestand der Freien Wohlfahrtspflege. Wir fordern ebenfalls einen klaren gesetzlichen Rahmen für gesundheitlichen Hitzeschutz auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Dabei sollten auch institutionelle Hitzeschutzpläne (u.a. für Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen) als Pflichtaufgabe gesetzlich verankert werden. Die Bundes- und Landesebene müssen hierfür ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen.
Rechtliche und finanzielle Hürden, die Investitionen in dezentrale erneuerbare Energieerzeugungen entgegenstehen, müssen konsequent abgebaut werden. Der Gemeinnützigkeitsstatus darf durch Eigenenergieerzeugung nicht gefährdet sein, sondern im Gegenteil: Eigenenergieerzeugung durch gemeinnützige Akteur*innen verdient Förderung!
Der „European Green Deal“ hat das ehrgeizige Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die Ziele des Green Deals weiterhin mit ambitionierten Rechtsakten unterlegt und nicht verwässert werden, wie es dem Verbrenner-Aus droht. Nur eine konsequent ausgerichtete europäische Nachhaltigkeitspolitik, die Klimaschutz als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge anerkennt und ihn gleichzeitig ambitioniert sowie sozial und gerecht gestaltet, kann die Herausforderungen bewältigen.